Meine erste Begegnung mit Kambodscha war ein Artikel in Melodie und Rhythmus mit einem Bild von Prinz Sihanouk, den ich schön und märchenhaft fand.
Meine erste Begegnung mit Kambodscha war ein Artikel in Melodie und Rhythmus mit einem Bild von Prinz Sihanouk, den ich schön und märchenhaft fand.
Was wir über Kambodscha wussten? Dass es dort die erhabenen Tempel von Angkor Wat gab – und dass es tropisch war.
Über die DDR wusste ich, dass es ein Land in Europa war.
Ich wusste nicht, dass es zwei verschiedene deutsche Staaten gab. Für mich war West-Germany der Maßstab: bunte Leuchtreklame, schicke Autos.
Als Jugendlicher träumte ich davon, ins Ausland zu gehen. 1969 schickte mich Prinz Sihanouk zum Musikstudium in die DDR.
1969 gründete ich mit Scheumann das Studio H&S. Wir drehten politische Filme, dokumentierten in Chile den Beginn der Militärdiktatur und filmten in Nordvietnam abgeschossene US-Piloten.
1969 eröffnete ich ein kleines Atelier in Battambang: Wir malten Kinoplakate, Porträts und riesige Reklametafeln von Prinz Sihanouk.
Ich dachte als Student, dass ich bald heimkehren würde, um in Kambodscha zu musizieren. Aber plötzlich musste Sihanouk ins Exil, und meine Verbindung nach Hause riss ab.
Bei uns an der Uni gab‘s keine Protestkultur wie im Westen, wo Studenten gegen den Vietnamkrieg demonstrierten. Aber ich ging zu Solidaritätskonzerten für das kommunistische Nordvietnam, das uns als Bruderland galt.
Alles ging schnell, schnell, schnell – überall sah ich die schwarzen Uniformen der Khmer Rouge.
Die Roten Khmer jagten das korrupte und reaktionäre Lon Nol-Regime davon, brachten aber den Kommunismus in Misskredit.
Der Prorektor der Musikhochschule verlangte, dass ich mich zum neuen Bruderland Kampuchea bekenne. Ich sagte: ‚Ich weiß doch gar nicht, wer diese Roten Khmer sind und was sie vorhaben.‘
Ich habe nie damit gerechnet, diese Hölle zu überleben.
Jeden Tag holten sie Häftlinge zum Verhör ab. Diesen Gefangenen legten sie Handschellen und Augenbinden an. Manchmal kehrten einige mit blutenden Wunden oder blutverschmiertem Körper zurück, andere verschwanden.
Nachts, wenn eine Heuschrecke vom elektrischen Licht herunterfiel, rauften wir um sie und steckten sie in den Mund, als wäre sie eine Delikatesse.
Ich beschloss, dass ich, falls ich überleben würde, […] alles zusammentragen würde, um zu erhellen, was passiert ist, so dass die jüngere Generation darüber Bescheid wüsste.
Ich fragte mich, wie Pol Pot so freundlich aussehen und doch so brutal die Leute behandeln konnte, indem er Khmer des gleichen Blutes folterte und tötete, ohne jegliche Reue zu verspüren.
Unsere Vietnam-Filme waren die Eintrittskarte nach Kambodscha.
Wir flogen von Berlin über Peking nach Hanoi und weiter nach Ho-Chi-Minh-Stadt. Als Lektüre im Flugzeug bekamen wir eine Mao-Bibel in englischer Sprache.
Es gibt zwei Sorten von Leuten, die verurteilt werden müssen: Befehlshaber und Täter. Ich möchte nicht, dass die Leute genau so schlimm behandelt werden, wie ich behandelt worden bin, aber ich will, dass es Gerechtigkeit für die Opfer gibt. Auch die Befehlsempfänger, die die Mordtaten verübt haben, müssen vor Gericht.
Während Krieg und Terror in Kambodscha herrschten, haben wir in Erfurt-Nord in der Leninstraße in einem ehemaligen Lagerraum gehaust. Wir haben uns regelrecht versteckt, denn inzwischen gab es kaum noch kambodschanische Studenten in der DDR.
Als ich mich für ein Stipendium bewarb, hätte ich auch die UdSSR, Bulgarien oder Vietnam angeben können, aber ich entschied mich für Deutschland.
Mein Vater sagte, die DDR sei das am meisten zivilisierte Land der kommunistischen Welt.
Ich wusste nicht, was mit meiner Familie los war. Ich fühlte mich oft verloren in der DDR, so wie Beckmann in Wolfgang Borcherts Draußen vor der Tür.
Manchmal kollidierten unsere cineastischen Ideen mit den politischen Absichten Honeckers. Die Weltsymbole Hammer und Sichel im Zusammenhang mit den Angkar zu zeigen, war nicht erwünscht – haben wir aber gemacht.
In Battambang filmten wir Menschen, die soeben aus den Zwangskommunen befreit worden waren. Einer stellte sich als ehemaliger Lehrer vor und bat um ein Erinnerungsstück. Als ich ihm ein Stofftaschentuch gab, freute er sich unglaublich und sagte, er werde dieses Geschenk sein Lebtag nicht vergessen.
Irgendwann fuhr der Liedermacher Reinhold Andert mit einer FDJ-Delegation zusammen mit Egon Krenz nach Kambodscha, wo er meinen Brief an meine Familie im Radio vorlas. Aber es meldete sich niemand. Da fürchtete ich das Schlimmste. Aber ich weigerte mich, die Hoffnung aufzugeben.
Wir haben das Land durch die vietnamesische Brille betrachtet.
Mit militärischem Schutz einer vietnamesischen Einheit und 30 Hühnern zur Verpflegung fuhren unsere Jeeps von Ho-Chi-Minh-Stadt nach Kampuchea.
Wir hatten unsere Filme auch in einer Fassung in Khmer produziert. Unter den Zuschauern damals in einer Freilichtveranstaltung war Premierminister Hun Sen.
Ich mag Weimar, diese kleine Stadt. Dort habe ich den ersten Schnee meines Lebens gesehen und Freunde gefunden, mit denen ich bis heute in Kontakt bin.
Einige Deutsche diskriminierten Studenten aus ärmeren Ländern. Aber ich selbst habe diese Erfahrung nie machen müssen, ich habe große Freundlichkeit erfahren.
Ich hätte mir nie vorstellen können, in so einem Gerichtssaal sitzen zu können, um in der Öffentlichkeit Zeugnis abzulegen. Das ist ein Geschenk. Das ist mir eine Ehre.
Es hieß, man wolle das Genozid-Museum schließen. Manche meinten, dies könnte dazu beitragen, die Wunden zu heilen. Doch wenn das Tuol-Sleng-Museum aufgegeben wird, bedeutet das, dass die Männer, Frauen und Kinder, die dort gestorben sind, einfach aus der Welt sind; dass ihr Sterben bedeutungslos gewesen ist.
Prinz Sihanouk hat mir das Leben gerettet. Hätte er mich nicht rechtzeitig in die DDR delegiert, wäre ich mit Sicherheit getötet worden. Fast meine gesamte Familie ist umgebracht worden. Das habe ich erst 22 Jahre nach meinem Weggang erfahren. Mein Onkel war Klarinettist. Er hätte 1969 eigentlich mit mir nach Weimar kommen sollen. Aber er musste sich um die Familie kümmern, hieß es…
Erst 30 Jahre, nachdem ich mit Sonny zusammengekommen bin, habe ich Kambodscha zum ersten Mal gesehen. Wir sind 2002 hingeflogen. Das war Land noch vom Krieg gezeichnet. Überall trafen wir Menschen, denen Gliedmaßen fehlten. Dort habe ich erfahren, wie gut es uns in Mitteleuropa geht.
Mittlerweile geht es dem Land sichtlich besser. Mich ärgert die Korruption, aber ich liebe die zauberhafte Landschaft. Und mitunter entdeckt Sonny Spuren des untergegangenen Märchenlandes, das seine Kindheit ausgemacht hat.